Alina Hofmann
ehem. Doktorandin
Projekt
Sensorische Fotografien. Zeitlichkeitsstrukturen und Gattungskonventionen bei Valério Vieira um 1900
Betreuer*innen
Prof. Dr. Roland Kanz
Prof. Dr. Bettina Schlüter
Das fotografische Medium – charakterisiert etwa durch das chemische Fixieren von Zeit – ist genuin mit dem indexikalischen Aufzeichnen von gegenwärtig gewesener Präsenz verknüpft. Die Beziehung zu Zeit im Bild wird neu verhandelt, wenn fotografische Reihen in den Blick geraten: Diese hinterfragen die Prämisse der Fixierung, wenn das Einzelbild durch die sequentielle Abfolge in Bewegung gerät, potenzieren zugleich aber auch diese fotografische Eigenschaft, wenn sie die Fixierung von Zeit vervielfachen.
Vier fotografische Montagen des brasilianischen Fotografen und Komponisten Valério Vieira loten diese Referenzen auf Zeitlichkeit aus und stehen im Fokus der geplanten Arbeit. Wir beobachten aufgefächerte Mimikstudien, die Bildformulare der Pantomime wie der Pathologie aufgreifen (1890 bis 1903); ein Gruppenporträt, das aus dreißig Selbstporträts des Künstlers besteht (1901); ein Panorama, welches den Weltrekord für das größte fotografische Panorama der Zeit aufstellt (1922) und schließlich stammbaumähnliche Inszenierungen der neuen republikanischen Regierung nach dem Militärputsch gegen den Kaiser einige Jahre zuvor (1900 und 1926). Wie schreibt ein neuer Staat, dazu in Brasilien, die Geschichte seiner eigenen Gegenwart? In welche Traditionen möchte man sich einreihen, welche Bildformeln werden wiederholt, adaptiert, umgeformt?
Sensory Photographs. Structures of temporality and genre conventions in Valério Vieira’s photographs around 1900
The photographic medium - characterized, for example, by the chemical fixation of time - is genuinely linked to the indexical recording of presence. This inherent relationship between temporality and the photograph is renegotiated when photographic series come into view: They question the premise of fixation when the single image is set in motion by sequential progression.
Four photographic montages by Brazilian photographer and composer Valério Vieira explore these references to temporality and are the focus of the planned dissertation. We observe fanned-out studies of facial expressions that take up pictorial forms of mime as well as pathology (1890 to 1903); a group portrait composed of thirty self-portraits by the artist (1901); a panorama that sets the world record for the largest photographic panorama of the time (1922); and finally, family tree-like stagings of the new republican government after the military coup against the emperor a few years earlier (1900 and 1926). How does a new state write the history of its own present? Which traditions does one want to join, which image patterns and pictorial formulas are repeated, adapted, reshaped?
Profil
- 10/2020–06/2024
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am DFG-Graduiertenkolleg 2291 "Gegenwart/Literatur" der Universität Bonn - 2018–2020
Masterstudium Kunstgeschichte, Universität Bonn und Hamburg mit Studienaufenthalten in Boston und Rochester (USA)
Abschlussarbeit: Hybriditätsdiskurse und Reinheitspostulate. Taxonomien des Ursprungs in der fotografischen Sammlung von Louis Agassiz (1807–1873) - 2014–2018
Bachelorstudium Kunstgeschichte und Komparatistik, Universität Bonn
Abschlussarbeit: Inszenierte Körper. Affektpoetik und performative Typografie bei Laurence Sterne und Joaquim Maria Machado de Assis - 2012–2013
Grundstudium Kommunikationsdesign, FH Aachen
- "'Cinematographo Falante!' Verflechtung von Medienpraktiken und Topoi des Fotografischen in der brasilianischen Tagespresse um 1900", Vortrag im Rahmen des interdisziplinären Graduiertenworkshops an der Karls-Universität in Prag, Tschechien, Juni 2022
- "'Fatima Miris Nella Geisha'. On Gender Performance and Humour on the Late Victorian Stage", Vortrag im Rahmen des Online-Symposiums Women and Early Photography der University of Aberdeen, Schottland (Aufzeichnung des Vortrags), Juni 2022
- "Performing Time in Brazilian photographic montages around 1900", Vortrag im Rahmen des interdisziplinären Graduate Workshops Unlearning Temporality der Carleton University, Kanada, April 2022
- "Identität, Nationalität, Erinnerung. Das fotografische Denkmalinventar im 19. Jahrhundert", Vortrag im Rahmen des interdisziplinären Workshops zur Denkmalpflege auf Gut Siggen, Ostsee (Reise gefördert von der Toepfer-Stiftung), Juli 2019
- "Aby Warburg und die Fotografie", Vortrag und Führung im Warburg-Haus, Hamburg, Juni 2019
- "Geklebte Nasen, voyeuristische Blicke, syphilitische Flecken. Der Körper bei William Hogarth", Vortrag im Rahmen des Nachwuchsforums des 35. Deutschen Kunsthistorikertags, Göttingen (Reise gefördert von der Gerda-Henkel-Stiftung), März 2019
- Wissenschaftsgeschichte
- Theorie und Geschichte der Fotografie
- Körperinszenierungen
- Brasilianische Fotografie des 19. Jahrhunderts
- Sinnesphysiologie und Ästhetik
Publikationen
Sammelbände
2024 [mit Paul Labelle]: Opake Medien. Störung und Metakommentar und als medienübergreifende Verfahren.
Hannover: Wehrhahn.
Aufsätze
2024 [mit Paul Labelle]: Zur Einführung.
in: Alina Hofmann, Paul Labelle (Hrsg.): Opake Medien. Metakommentar und Störung als medienübergreifende Verfahren, Hannover: Wehrhahn, S. 7–15.
2024: Wer stört? Vorhänge, Voyeurismus und venus pudica in Almeida Júniors Gemälde "O importuno" (1898).
in: Alina Hofmann, Paul Labelle (Hrsg.): Opake Medien. Metakommentar und Störung als medienübergreifende Verfahren, Hannover: Wehrhahn, 125–145.
2020 [mit Svenja Weikinnis]: Von Kunstkammern, Kupferstichen und Handbüchern. Das Sammeln von Dürer- und Cranachgrafik um 1800 am Beispiel von J.G. Mönckeberg.
in: Christina Posselt-Kuhli, Sophia Kunze, Antje Theise (Hrsg.): Kunstpflege in Bibliotheken – Kür oder Pflicht? Wege zur Sichtbarmachung forschungsrelevanter Druckgrafik an der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Hamburg: Hamburg University Press 2020, S. 101–111.
2017: 'den Nimbus des Orchideenfaches ablegen'. arcadia – Notizen zum Werdegang einer Zeitschrift.
in: Kritische Ausgabe 33 (2017), S. 91–95.