Sascha Rothbart
ehem. Doktorand
Projekt
Lyrik und Gegenwart
Betreuer*innen
Prof. Dr. Achim Geisenhanslüke
Prof. Dr. Christian Moser
Man begegnet heute immer wieder der Vorstellung, der menschliche Zugang zur Welt sei narrativ beschaffen. Darin liege ein Grundzug des Menschen, der ihn als homo narrans oder storytelling animal ausweise und eine universelle Kulturpraxis bedinge. Der narrative turn bewies die Reichweite literarischer Gattungsbegriffe. Doch lässt sich allein das Erzählen derart verallgemeinern? Was ist mit anderen literarischen Modi?
Grenzen des Erzählens ober, besser gesagt, Umschlagstellen von einem Modus (des Erlebens, des Wissens, des Gestaltens) in den anderen gibt es viele. Insbesondere der Bereich physischer Sensation und materieller Themen scheint sich dem Narrativen weitgehend zu entziehen und – wie in meiner Dissertation argumentiert wird – eine eigene (eher lyrische) Kulturpraxis zu erzeugen, in deren Mittelpunkt womöglich dasjenige steht, was Maurice Merleau-Ponty als Fleisch der Welt (chair du monde) bezeichnet.
Indem die Grenzen dieser Kulturpraxis abgesteckt werden, soll etwas Kontur gewinnen, das vielleicht als vita sensitiva zu bezeichnen wäre – veranschaulicht an Arthur Rimbaud, aber nicht auf die (geschriebene) Lyrik, die Literatur im Allgemeinen beschränkt.
Lyricism and Present. Le grain des choses. (Arbeitstitel)
One repeatedly encounters the idea that the human approach to the world is narrative. The narrative turn proved the scope of literary genre concepts. But can narrative alone be generalised in this way? What about other literary modes?
There are many boundaries of narrative or, more precisely, points of transition from one mode (of experiencing, of knowing, of creating) to another. In particular, the realm of physical sensation and material imagination, something that can also be called >grain< (R. Barthes), seems to largely elude the narrative and - as argued in my dissertation - to generate its own (rather lyrical) mode of modelling the self and the world, centred on what Maurice Merleau-Ponty calls the chair du monde oder a kind of >pâte même des choses< (J.-P. Sartre).
This clearly emerges, for example, in the forays of the Critique thématique when it seeks to reconstruct the >universe imaginaire< (J.-P. Richard) or >réseau des goûts et des dégoûts< (R. Barthes) of a subject, but also when Walter Benjamin in The Arcades Project characterises the 19th century through fabrics such as velvet or plush.
In Arthur Rimbaud's poetry in particular, however, the the formal and thematic facets of a >lyrical-sensory mode< condense.
Profil
- 10/2020–06/2024
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am DFG-Graduiertenkolleg 2291 "Gegenwart/Literatur" der Universität Bonn - seit 10/2020
Gastwissenschaftler am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt a.M. - 2019–2020
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt a.M. - 2015–2019
M.A. in Comparative Literature an der Goethe-Universität Frankfurt - 2008–2014
Joint B.A. in Germanistik und Philosophie an der TU Darmstadt
- "Grain und allure in Rimbauds Sonnet 'Voyelles'" Vortrag im Rahmen der internationalen Tagung "sah ich mich rufen hören". Stimme(n): Polyphonie und Intermedialität, Robert-Musil-Institut für Literaturforschung/Kärntner Literaturarchiv, 2021
- "Die Lyrismen des Traums", Vortrag im Rahmen der Tagung Träumen mit allen Sinnen des GRK Europäische Traumkulturen der Universität des Saarlandes, Saarbrücken 2020
- "'Uncertainty clouds' Wilfred R. Bions psychoanalytische Ästhetik als Poetik der Unsicherheit", Vortrag im Rahmen des Workshops Transformationen – Wilfred R. Bions Ästhetik: Das Unsagbare (be-) schreiben, Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Goethe-Universität Frankfurt, 2017
- Französische und deutsche Lyrik des 19. und 20. Jahrhunderts
- Arthur Rimbaud
- Die Rolle der physischen Sensibilität in der Lyriktheorie
- Die Ästhetik der Stimme
- Gattungstheorie
- Psychoanalytische Ästhetik
- Literatur und Malerei
- Rhythmus in Lyrik und Prosa
Publikationen
Aufsätze
2024: Lyrische Pastosität? Zur Transmedialität eines Phänomens.
in: Alina Hofmann, Paul Labelle (Hrsg.): Opake Medien. Metakommentar und Störung als medienübergreifende Verfahren, Hannover: Wehrhahn, S. 149–170.
2022: Das Imaginäre der Stimme. Grain und allure in Rimbauds Sonett »Voyelles«
in: Wiener digitale Revue 3 (2021).
2022 [mit Isabelle Franz u.a.]: Prosodic Phrasing and Syllable Prominence in Spoken Prose. A Validated Coding Manual
2022: Rezension zu Robert Heim: Psychoanalyse im Turm zu Babel. Grenzgänge zwischen Melanie Klein, Wilfred R. Bion und Jacques Lacan
in: Zeitschrift für psychoanalytische Theorie und Praxis 36/4 (2022), S. 494–497.
2021: Lyrik und die autistisch-berührende Position
in: Psyche 75/3 (2021), S. 230–263.
2021: Rêver la matière. Lyrische Träume
in: Stephanie Catani, Sophia Mehrbrey (Hrsg.): Träumen mit allen Sinnen. Sinnliche Wahrnehmungen in ästhetischen Traumdarstellungen. Paderborn: Fink 2021, S. 57–79
2021: Rezension zu Fred Busch: The Analyst’s Reveries. Explorations in Bion’s Enigmatic Concept
in: Freiburger literaturpsychologische Gespräche. Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse 40 (2020): Religion und Gewalt., hrsg. von Tatjana Jesch, S. 319–323.
2020: Rezension zu Wolfgang Mertens: Psychoanalytische Schulen im Gespräch über die Konzepte Wilfred R. Bions
in: Freiburger literaturpsychologische Gespräche. Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse 39 (2019): Nietzsche, hrsg. von Dominic Angeloch, Joachim Küchenhoff, Joachim Pfeiffer, S. 317–321.
2017: »Uncertainty clouds« Wilfred R. Bions psychoanalytische Ästhetik als Poetik der Unsicherheit
in: Psyche 71/3 (2017), S. 189–213.
Sonstiges
2018: Leda Bourgogne at BQ
in: ArtViewer, 21.07.2018.