Struktur, Form, Modell. Literaturwissenschaftliche Perspektiven auf textuelle (Re-)Präsentationen von Zeit
Workshop mit Ansgar Nünning (Gießen), Niels Werber (Siegen) und Robert Matthias Erdbeer (Münster) in Kooperation mit dem Graduiertenkolleg 'Literarische Form. Geschichte und Kultur literarischer Modellbildung' der Universität Münster
Zeit spielt in vielfacher Weise eine Rolle für künstlerische/ästhetische Erzeugnisse im Allgemeinen und Literatur im Besonderen: Sprache und Literatur ereignen sich in der Zeit, sie sind zeitlich organisiert; literarische Texte werden in einer bestimmten Zeit verfasst und stehen dadurch in Zusammenhang mit historischen Zeiterfahrungen und Zeitkonzepten, die mit ästhetischen Mitteln zur Darstellung gebracht und reflektiert werden können. Darüber hinaus sind literarische Fiktionen in der Lage, vergangene Zeiten aufzurufen und zukünftige zu imaginieren und damit auf ihre Entstehungskontexte rückzuwirken.
Bei der Frage nach dem Verhältnis von literarischem Text und Zeit können, je nach theoretischer Perspektive, ganz unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Selten jedoch werden verschiedene Ansätze verknüpft, so dass ihre Ergebnisse und Einsichten meist isoliert formuliert werden. Gerade mit Blick auf das zentrale und umfassende Thema Zeit kann sich ein kritischer Abgleich literarturtheoretischer Zugriffe als überaus fruchtbar erweisen, da die temporale Konfiguration eines Textes entscheidend zu seiner internen Strukturierung beiträgt und die Textur darüber hinaus mit ihrem disziplinären – literaturtheoretischen und literaturgeschichtlichen – sowie gesellschaftlichen Kontext verknüpft.
Daher möchte der Workshop verschiedene theoretische Positionen zusammenbringen und, ausgehend vom exemplarischen Untersuchungsmaterial des Romans Bryant Park von Ulrich Peltzer, eine gemeinsame, multiperspektivische Analyse und Diskussion der zeitlichen Organisation und Reflexion literarischer Texte anregen. Dabei sollen drei Theorien auf ihre Relevanz für ästhetische Zeitdarstellungen sowie ihre Kombinierbarkeit und Ausschlussmechanismen überprüft werden: Die Narratologie begreift Zeit einerseits als Strukturmoment eines literarischen Textes, das die Ebenen dicours und histoire organisiert, andererseits, unter Einbezug kognitivistischer Ansätze, als ein Phänomen der Rezeption. Die Systemtheorie verortet Zeit mit dem Konzept der ‚Form‘ in Operationen des Unterscheidens und Bezeichnens und betont die Synchronisationsleistung moderner Literatur, die postulierte Gleichzeitigkeit alles Geschehens in komplexe Zeitgefüge zu übersetzen. Die Modelltheorie versteht die temporale Organisation von Texten als prozessuales Verfahren, in dem historisch-kulturelle Zeitdeutungen und ästhetische Muster aufgenommen und über für- und von-Beziehungen transformiert werden, um an eine Deutungsgemeinschaft zurückgegeben zu werden und selbst wiederum modellhaft wirken zu können.
Die Kreuzung dieser drei Blickwinkel – Struktur, Form, Modell –, und ihre Erprobung an Peltzers Bryant Park verspricht eine umfassende Perspektivierung des Verhältnisses von Zeit und literarischem Sprechen.
Infobox
Freitag, 30. November 2018
ab 9 Uhr
Genscherallee 3, Raum 0.008
Organisation
Eva Stubenrauch und Jutta Gerber (Münster)
Ablauf/Programm
09:30 Begrüßung
09:45 Ansgar Nünning: Zeit und Narratologie
10:45 Kaffeepause
11:15 Niels Werber: Zeit und Systemtheorie
12:15 Matthias Erdbeer: Zeit und Modelltheorie
13:15 Mittagspause
14:30 Gemeinsame Arbeit am Textmaterial - U. Peltzer Bryant Park
16:00 Kaffeepause
16:30 Gemeinsame Arbeit am Textmaterial - U. Peltzer Bryant Park
18:00 Gemeinsames Abendessen