Zukunftsdenken und Zukunftsästhetik in literarischen, kulturellen und medialen Diskursen der Moderne (1880–1950)

Workshop organisiert von Fabian Lampart (Potsdam), Christian Meierhofer (Bonn), Natalie Moser (Potsdam), in Verbindung mit dem DFG-Graduiertenkolleg „Gegenwart/Literatur“ 

Am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert lässt sich in literarischen, kulturellen und medialen Diskursen eine Vielzahl an Bilanzierungsversuchen und ein hohes Maß an Zukunftsreflexion bemerken. Das fin de siècle befördert eine intensive Auseinandersetzung mit dem kommenden début de siècle. Offensichtlich ist das in Genres wie Utopie und Dystopie oder in der Science Fiction, die seinerzeit gegenwärtige Reflexionen über kulturelle, technische oder wissenschaftliche Zukunftsentwürfe extrapolieren. Die zeitgenössische Gegenwart, in der diese Texte entstanden sind, erscheint in den literarischen Szenarien als eine künftige Vergangenheit, die sich mitunter radikal von der projizierten Zukunft unterscheidet. Anders gelagert sind diese Verhältnisse in Texten, die von ihrer Gegenwart aus eine mögliche Zukunft prophezeien, program-matisch entwerfen oder mit dem Ziel der Vorsorge und Absicherung prognostizieren; insge-samt also in Texten, die Zukunft mit einem Gestaltungs- oder Bewältigungsanspruch begegnen, der von der Gegenwart aus gedacht ist und diese dabei mehr oder weniger grundlegend ver-ändern will. Varianten solcher gestaltender Zukunftsreflexion in der literarischen Moderne sol-len im geplanten Workshop in den Blick genommen werden. Eine Leitfrage ist dabei, wie sich die mitunter langfristig etablierten diskursiven ‚Ordnungen des Zukunftswissens‘ (Bühler/Willer 2016) um und ab 1900 transformieren, aktualisieren oder auch beenden lassen. Einige Schwerpunkte, an denen entlang das Zukunftsdenken in literarischen, kulturellen und media-len Diskursen beobachtet werden kann, seien hier angeführt.

Neuordnung der Zukunftsregimes: Literarische, kulturelle und mediale Diskurse der Moderne – die sich selbst in ihren verschiedenen Spielarten zwischen programmatischer, avantgardisti-scher und ‚reflektierter‘ Moderne (vgl. Kiesel 2004) als ‚neu‘ im Verhältnis zum Bestehenden und zur Gegenwart verstehen – sind von jeweils spezifischen Arten der Umstrukturierung und programmatischen Neuordnung der Zukunftsreflexion geprägt. Eine nicht zu unterschätzende zeit- und kulturhistorische Voraussetzung bilden dabei die Zäsursetzungen zwischen 1871 und 1945, die seit der Gründerzeit und vor allem von den beiden Weltkriegen markiert, aber schon zeitgenössisch auf ihre katalysatorischen Effekte und ein zukunftsweisendes gesellschaftliches Potential der ‚Reinigung‘ hin gedeutet werden (vgl. Meierhofer/Wörner 2015).
Neuheitsanspruch als Zukunftsästhetik: Parallel sind künstlerische-literarische Programme und Postulate der Avantgarden – etwa des Expressionismus, Dadaismus und Futurismus – verbun-den mit dem Entwurf als zukünftig verstandener Ästhetiken. Diese können mit einem Gestal-tungsanspruch versehen sein, oftmals aber auch mit dem Gestus der Projektion noch zu reali-sierender ästhetischer Vorstellungen und Praktiken (vgl. Asholt/Fähnders 2005).

Genres des Zukunftsdenkens: In Verbindung mit den ersten beiden Punkten stellt sich die Frage, ob bestimmte Genres und Textsorten für eine Gestaltung des Zukunftsdenkens prädes-tiniert sind. So sind Manifeste ihrem Selbstverständnis nach zukunftsorientiert oder mindes-tens zukunftsaffin und werden „gerne von Bewegungen verwendet, die sich selbst als avant-gardistisch, innovativ oder revolutionär begreifen“ (Spörl 2003, S. 535). Allerdings ist das Manifest nur die bekannteste Gattung mit futurischen Darstellungsmerkmalen. Im Workshop wollen wir darüber hinaus fragen, wie der Zukunftscharakter programmatisch-ästhetischer Entwürfe in anderen Genres (u.a. Essay, Reportage, Bericht) und Denkformen wie dem Experi-ment gestaltet wird. Zudem sind Beiträge willkommen, die das in ‚traditionelle‘ Genres (z.B. Drama, Roman, Erzählung) integrierte Zukunftsdenken analysieren.

Denkformen und Semantiken der Zukunftsprojektion: Schließlich soll nach den kulturellen Kon-texten des Zukunftsdenkens in der Moderne gefragt werden. Aus dem Gegeneinander von af-firmativem Fortschrittsdenken, Wissenschafts- und Technikbegeisterung einerseits und den ausladenden Debatten im Bereich des Kulturpessimismus, der Kulturkritik, der populären Weltanschauungsliteratur und der Apokalyptik andererseits ergeben sich durchaus wider-sprüchliche Bedingungen, unter denen sich dann aber Zukunft produktiv modellieren und re-flektieren lässt. Nicht zuletzt für die Ordnung des modernetypischen Selbstverständigungsdis-kurses ist dieses Spannungsverhältnis aus Affirmation und Negation, Optimismus und Pessimismus, Fortschritts- und Rückschrittsnarrativen konstitutiv.

Der Workshop schließt an eine frühere Potsdamer Veranstaltung an, die sich bereits mit lite-rarischen und ästhetischen Zukunftskonzeptionen des 19. Jahrhunderts beschäftigt hat (Lampart/Moser 2024). Für den kommenden Workshop in Bonn erbitten wir bis zum 1. Oktober 2024 Vorschläge aus der Literatur-, Medien-, Geschichts- oder Kunstwissenschaft für einen 30-minütigen Vortrag an die u.g. Adressen. Für die Vortragenden können die Reise- und Über-nachtungskosten zumindest anteilig übernommen werden. Eine Publikation innovativer Beiträge ist vorgesehen.

Infobox

Donnerstag, 13. Februar 2025
13:30-18:00 Uhr
Genscheralle 3, R. 2.009

Freitag, 14. Februar 2025
09:30-18:00 Uhr
Genscherallee 3, R. 2.009

Samstag, 15. Februar 2025
Abreise

Organisation
Fabian Lampert (Potsdam), Christian Meierhofer (Bonn) und Natalie Moser (Potsdam)

Ablauf/Programm

13:30 Uhr Ankuft und Imbiss

14:30 Uhr Fabian Lampart (Potsdam), Christian Meierhofer (Bonn), Natalie Moser (Potsdam): Begrüßung und Einführung

15:00 Uhr Roland Spalinger (Zürich): „Die Kommenden“. Zukunftsreflexionen in der Berliner Bohème

15:45 Uhr Kaffeepause

16:15 Uhr Larissa Wilwert (Heidelberg): Jung versus Alt. Zukunftsentwürfe und Generationenkonflikte in erfundenen Gesprächen der Wiener Moderne

17:00 Uhr Helene Weinbrenner (Basel): Väter, Söhne – Kindeskinder? Zukünftige Generationen im Expressionismus

19:00 Uhr Gemeinsames Abendessen

9:30 Uhr Adrian Renner (Hamburg): Kraftfeld Erde. Figuren des Planetarischen im populären Zukunftsroman (1899–1930)

10:15 Uhr Philip Iser (Bonn): Die Ungleichzeitigkeit des Dystopischen. Zur Ästhetik und Konsequenz negativen Zukunftsdenkens in Artur Landsbergers Berlin ohne Juden (1925)

11:00 Uhr Kaffeepause

11:30 Uhr  Moritz Strohschneider (München): Das Pochen der Vergangenheit – Debatten um das ‚Reich‘ in der Zwischenkriegszeit

12:15 Uhr Thomas Crew (Warwick): „Der Buribunke braucht kein Christentum, noch sonst eine Ideologie“: Fortschrittsgläubigkeit und Intellektuellenschelte in Carl Schmitts Satire Die Buribunken (1918)

13:00 Uhr Mittagspause

14:30 Uhr  Alexander Wagner (Wuppertal): „Wohin ich immer in meinem Haus gelange, die I.G. wird zugegen sein!“ Nachträglichkeit als Modus zur Vermittlung von Zukunftswissen

15:15 Uhr Christoph Jakubowsky (Berlin): „So endet mein bisheriges Leben mit Dir und solche Aussichten trägt es in sich für die Zukunft“. Zukunftsreflexion und Zukunftsästhetik in Franz Kafkas Brief an den Vater (1919)

16:00 Uhr Kaffeepause

16:30 Uhr Tim Wegener (Potsdam): „Atombomben und Bakterien hatten ganze Arbeit geleistet“. Zukunft in Arno Schmidts Schwarze Spiegel

18:30 Uhr Gemeinsames Abendessen

Film- und Fotohinweis

Das Graduiertenkolleg lässt im Rahmen der Veranstaltung ggf. Fotos und Tonaufnahmen anfertigen, die im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit im Internet, in Printmedien und auf Social Media-Kanälen veröffentlicht werden. Mit der Teilnahme an der Veranstaltung erklären sich die Teilnehmer*innen mit den Foto- und Tonaufnahmen sowie deren Speicherung und Veröffentlichung einverstanden. Bitte sprechen Sie unsere Fotograf*innen und Organisator*innen vor Ort an, falls Sie nicht fotografiert oder aufgenommen werden möchten.

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